NameLeopold Bauer
Birth1855
Death29 Aug 1942
FatherAlois Bauer (~1819-1900)
MotherFranziska Fanni Deutsch (~1826-1902)
Spouses
Birth2 Dec 1869, Moravia
Death11 Aug 1929, Vienna, Austria
Burial13 Aug 1929, T4 G12 R24 N25
FatherEmanuel Moritz Zeisl (1840-1907)
MotherRosalie Reichmann (1836-1918)
Marriageabt 20 Jan 1889
ChildrenOtto (1896-1944)
 Ernst (1887-)
 Felix (1890-1963)
 Alfred (1891-1968)
Notes for Leopold Bauer
{geni:about_me} 048.tif-052.tif

Wien 13. Mai Juni 1939

Lieber Heinz u. liebe Lisl!

Eure instructiven u. erschöpfenden Mitteilungen über die dortigen Farm-Verhältnisse haben mich lebhaft interessiert u. bin ich über den colossalen Umfang der Farm – 20 km2 – ganz paff; das ist ja ein kleines Fürstentum in dem derEinzelne sich total verliert – als Weißer – u. mit den Negern wird es auch nicht weit her sein, wobei ich annehme, daß dieselben verstreut, u. nicht in Krals, wohnen. Da musst du ja, lieber Heinz, bei deinen Inspectionen ein Reitpferd benutzen, u. kannst du mir mitteilen, ob die Pferde autochton oder importiert sind, u. diesfalls von wo. Wie kann denn die Lisl immer wissen, wo du grade zu finden bist, wenn sie dir das Essen bringt? Fährt sie da im Auto mitder Thermosflasche, oder kocht Ihr dann auf freiem Felde ab? Ich kann mir die ungeheure Menge des geernteten Weizens gar nicht vorstellen, noch weniger, was Ihr mit der exorbitanten

Masse des Strohs macht; wie hoch stehen die Halme ·|· in meinem Heimatdorfe Frischau, das besonders gut bebaut wurde, erreichten kaum 1 3/10 m u. wir bekamen bestenfalls 1/5 Stroh pro hectar; An Körnern giengen 50 aufs Hectar;wie ist das dorten, u. wie viel Körner kommen dort auf den liter? Aber das Unbegreiflichste von Allem ist mir, daß Ihr in über 2000 m Höhe überhaupt Weizen bauen könnt, was ja vielleicht dem aequatorialen Gluthen zuzuschreiben sein wird; bei uns zu Hause gibt es über 1500 m keinen Weizen mehr. Kommt die Ernte gleich nach dem Drusch a la rinfusa in Speicher/ Silo's/ oder wird der Weizen gleich auf dem Feld in Säcken gefüllt u. exporiert? Wohin geht das Großteil der Ernte? Ungeklärt ist mir auch die Frage der dortigen Jahreszeiten; habt Ihr denn dort auch Frühling, Sommer, Herbst u. Winter oder nur Regenzeit – vielleicht 3 Monate – u. sonst trockenes Wetter? Die ganze Geschichte interessiert mich so sehr, daß ich am liebsten gleich zu Euch auf Safari fahren u. durch Autopsie alles erfahren möchte; es gienge dies leicht mit der electrischen Straßenbahn bis Baden, aber von da zieht sich der Weg bis nach Kenya;möglicherweise komme ich einmal per Unterseeboot nach Kitale, die anderen Reisegelegenheiten sind mir schon zu veraltet u. da warte ich lieber auf moderne Verkehrsarten – etwa ·|· Rakete hinübergeschossen zu werden oder so etwas Neues. In einem Briefe der l. Lisl stand einmal etwas davon, daß sie von der Frau des Majors Milch „bekommen“ hat; ja ist denn gar an Milch dort Mangel, habt Ihr keine Kühe, keine Molkereien? Oder gerinnt bei der dortigen großen Hitze die Milch den Kühen schon im Euter? – Bei der Gelegenheit kannst du mir, lieber Heinz – aber ohne Aufschneiderei – schreiben, was du dort schon für Höchsttemperaturen (in Celsiusgraden) erlebt hast [,] wobei ich mir im Stillendenke, daß 35° die Tages ·|· nicht Nacht ·|· Mitteltemperatur ist; tragen die Leute – nicht die Neger – da noch Kleider, denn auch wir hier bei 25% [sic; probably °C] im Schatten verwünschen die Gesellschafts-Regel, „gut“ bekleidet zu sein u. nicht in Hemd u. Unterhosen herumgehen zu dürfen.

Wo so viel Gottessegen wächst, kann es Euch an nichts Lebenswichtigem fehlen, u. auf die sogenannten modernen Bequemlichkeiten – Möbel, Kleider, Teppiche etc. – hast Du wenigstens, lieber Heinz, nie viel Gewicht gelegt u. sind dieselben, soweit ich dich l. Lisl kenne, auch für dich grade kein Bedürfnis, dafür habt Ihr Frieden u. stilles glückliches Leben in harmonischer Ehe u. in Arbeit, ohne die – nach meiner Ansicht – das Leben sonst wertlos wäre. Für den Magen ist dort durch die üppige Natur gesorgt[,] für's Herz sorgt Eure große Liebe u. die Augenweide einer paradisischen Umwelt macht Euch sicher große Freude u. Abwechslung; da gibt es tausend kleine Freuden, die der Stadtmensch gar nicht kennt, u. um die ich Euch – aus meiner Vergangenheit – beneide, denn ähnlich – wenn auch nicht ganz so keusch und unberührt von düsteren Einflüssen der Umgebung hätte sich auch meine Jugendzeit entwickeln können, wennnicht meine ehrgeizige Mutter aus mir einen Beamten oder Professor hätte machen wollen; mein Vater war ein erbgesessener Bauer u. das hätte ich auch werden sollen; freilich wäre Alles anders gekommen, ich hätte meine liebe seligeFlora nicht geheiratet u. du l. Heinz[,] wärest nicht mein Neffe geworden. Schließlich ist's auch so gut – nun weil es eben nicht zu ändern ist. Du aber lieber Heinz kannst, früher oder später, als freier Bauer, oder im Comparativals Gutsbesitzer wie ein König in deinem Reiche schalten u. deine treue Gattin wird dir liebevoll helfen u. die Sorgen von der Stirne küssen. Da möcht' ich gleich bei dir als Knecht eintreten[,] successive zum Inspector aufrücken, um dann bei dir im „Austragstüberl“ alt wie Methusalem zu werden. Ihr seht liebe Kinder, ich der 83jährige „alte Kreiss“ träume noch wie der einstige Schulbube; Euer Leben wird schön sein, denn am Lande wohnt der Friede und „beatus ille, qui procul ab negotiis“ (Horaz)[.]

Jetzt aber, liebe Lisl, komme ich speziell zu dir, mit dem Schiller-Beethovenschen Motto „Freu' dich des Lebens“. Du hast das stolze Hochgefühl, deinem Manne treu u. helfend zur Seite zu stehen u. durch deines Herzens u. deiner Hände Kraft zum Aufbau Eurer jungen Wirtschaft am meisten beizutragen zu haben. Wie bedauernswert der arme, wenn auch wohlhabende Junggeselle, dem die stets bereite Hilfe der Frau fehlt u. der des Lebens Genuß doch nur vereinsamt genießen kann; ein stiller, liebevoller, Blick aus den treuen Augen seiner Frau macht den Mann glücklicher, als alles Gut und Gold der Welt u. die Harmonie der Eheleute bietet die Grundlage des menschlichen Friedens, den ja die ganze Welt ersehnt; Mach dir nichts daraus, daß du derzeit noch in „sogenannten“ primitiven Verhältnissen leben mußt, binnen kurzem ändert sich das u. Ihr werdet Euch die nötigen Bequemlichkeiten bald nachschaffen.

Das Misgeschick mit den Bruthennen beklage ich sehr, liebe Lisl, aber schließlich eine so große Welt-Geflügelfarm, wie du sie mutig angepackt hast[,] kann nicht an einem Tage erbaut resp.[ektive] binnen ein paar Wochen installiertsein. Um dir aber irgendwie bei Deiner Sysiphos-Arbeit mit diesem verdammten Federvieh behilflich zu sein, habe ich dir, unter Kreuzband , recommandirt, ein Buch über amerikanische Geflügelzucht geschickt, das von Erich Zeisl inMauer stammt, der sich auch vor Jahren erfrecht hat – eine Hühner-Farm in seinem Garten zu gründen, mit dem Resultat, daß ein paar Wochen drauf die Hühner teils ausflogen, schließlich von ihm – bis auf das eiserne Einfriedungsgitter bei Putz und Stingel aufgefressen wurden; dieses Buch dürfte bei Euch ca[.] 15/20 Juli eintreffen. — Sollte dieses Buch für Dich selbst, liebe Lisl, nicht genug lehrreich sein, so kannst du es ja deinen Hühnern vorlesen; fallsauch dies nichts nutzt, heißt es halt den Biestern das Goderl zu kratzen, für tüchtige Hähne u. gutes Futter zu sorgen.

Du erwähntest in einem deiner Briefe, daß Euch die Frau Majorin mit Milch ausgeholfen hat: ja, habt Ihr denn keine Milch, resp.[ektive] Kühe?

Was gibt's dort noch für genießbare Vögel: etwa Gänse, Puter, dann allenfalls noch Flamingos u. Strauße oder gar den mysteriösen Vogel Rock (aus 1001er Nacht)? Was kostet dort ein Suppenhendel, ein Backhuhn, eine gemästete Gans? Gibt's dort Schwalben, wie sie bei uns zu Lande zur Traulichkeit des Hausfriedens so sehr beitragen? —

So könnte ich noch lange u[nd] viel fragen, aber dann wäre es ja kein Brief, sondern schon ein Buch u. Ihr würdet schon eingeschlafen sein, ehe Ihr diesen endlosen Brief wirklich bis zum Schluß durchgelesen hättet. Ich schließe also – endlich, wie ich Euch seufzen höre – mit Gruß u. Kuß u. dem Wunsche, daß Ihr gesund u. glücklich sein möget, als Euer treuer Onkel

Leopold

1tes P.S. Daß ich gesund bin, ist selbstverständlich u. auch der l. Großmama geht es erheblich besser, desgleichen sind alle anderen Verwandten unverändert wo[h]lauf.

2tes P.S. Lebt noch der alte König von Uganda, Namens Daudi Dschwa , über dessen „Reich“ das britische Empire die Schutzherrschaft ausübt? Andernfalls nenne mir den wahrscheinlich ebenso unaussprechlichen Namen seines Nachfolgers,obwo[h]l ich von der Existenz dieses „Fürsten“ eigentlich nicht sehr berührt bin.

3tes P.S. Möchtest du, lieber Heinz, nicht, um auch die B' woll [Baumwoll=cotton]... Plantagen Wirtschaft kennen zu lernen, auf ein paar Wochen nach Uganda gehen? Dein Major würde dir wo[h]l zur Bereicherung deines colonialen Wissens den Urlaub concedieren .

4tes P.S. Dieser Flugpost-Brief wird mich ein schönes Geld kosten!



056.tif

Meine Lieben!

Ich bin ganz glücklich darüber, daß Ihr in Eurem eben erhaltenen Briefe schreibt[,] daß Ihr zufrieden seid u. es Euch gar nicht besser wünschen könnt; jetzt solltest Du, mein Sohn, noch die Praxis ausüben dürfen u. dann würde Ruheu. Beständigkeit in Euer ganzes, aber doch schon recht bewegtes Leben kommen, so daß wir um Euch keine Sorgen zu haben brauchten. Daß Du, mein lieber Sohn, zu den mir vom Ernst ziemlich häufig gesandten Liebesgaben einen Teil beigesteuert hast, rührt mich bei deiner Vermögenslosigkeit, u. wenn ich dir auch dafür innigst danke, bitte ich dich[,] doch in Zukunft davon ganz abzusehen, denn ich habe über keinen Mangel zu klagen und finde mich schon im Budgetzurecht.

[cut off] natürlichich [sic] u. Ihr braucht dieserhalb nicht die geringste Sorge zu haben[.] Ich werde am 26. ds. in das jüdische Altersheim II. Malzgasse 7 (Krügerheim genannt) übersiedeln u. bitte mir von jetzt ab nur dorthin zu schreiben ·|· sozusagen ·|· Uebrigens werde ich Euch zu Eurer Beruhigung binnen 8 Tagen noch mitteilen, ob es mir dort gefällt u. wie ich mich daselbst fühle.

Gott schütze Euch, die Lieben u. deren Frauen u. wiederhole ich, daß Ihr um uns keine Sorgen zu haben braucht, zumal doch Robert endlich seine Muttern anforder[n] u. nach U.S.A. kommen lassen wird.

Gruß u. Kuß von Eurem treuen Vater

Leopold

Vom Heinz u. der Lisl würden mich eigenhändige Briefe mit Angaben ihrer Tätigkeit etc. besonders befriedigen!



057.tif/058.tif

Wien 3. Jänner 1939

Liebe Ida!

Bis zum 14. ds., Deinem Geburtstage[,] wäre es wo[h]l noch Zeit, aber vielleicht geht die Flugpost verspätet ab, vielleicht kommt sie dort später an, sonach – besser vorzeitig als verspätet.

So wünsche ich dir denn, meine liebe Ida[,] von ganzem Herzen das Allerbeste u. das gilt für dich, für deine Buben u. meinen l. Alfred, dem ich noch speziell zu seiner Frau gratuliere. Alle meine Gedanken erschöpfen sich in dem einen Wort „Glück“, das dir u. all deinen Lieben beschert sein möge, wozu natürlich auch die Registrierung für den l. Alfred gehört.

Bleibt nur immer gesund u. hoffet, wie wir, daß Euch noch eine frohe Zukunft beschieden sei; über uns könnt Ihr beruhigt sein, wir leben still u. bescheiden hier u. sind unbehelligt; auch bei Felix, Ernst & Otto ist nichts Neues vorgefallen – sie warten auf eine günstige Lösung ihres Schicksales; unsere einzige Sorge ist jetzt, daß es Euch gut geht u. daß Ihr in Eurem neuen Heim zufrieden sein möget.

Mitzuteilen habe ich Euch eigentlich gar nichts und sende ich Euch tausend Grüße & Küsse, dir, dem l. Alfred u. den Jungens.

Papa

Wie viel wiegt Ida?

Wie viel wiegt Alfred?

Hat der Heinz auf seiner Farm schon einen Löwen oder Bock geschossen?



059.tif

Wien 27/6 1939

Lieber Alfred!

Aus deinem Briefe v. 17. ds. entnehme ich leider, daß dir die Registrierung wieder versagt wurde; aber ich weiß nicht, ob du recht handeln würdest, wenn du es gänzlich unterlassen würdest, dieselbe doch noch zu erlangen. Die Durchführbarkeit u. Zweckmäßigkeit deines belg.[isch] Kongo-Projectes entzieht sich meiner Beurteilung und bist Du dafür allein competent, aber bei diesem so riskanten Unternehmen fürchte ich mehr als sonst für Deine Gesundheit u. fügemich dem Zwange der Notwendigkeit gewissermaßen mit ängstlicher Besorgnis.

Ich würde auch jetzt, nach dem zweiten Refus, die Flinte nicht ins Korn werfen, sondern auf irgendeine Weise es ein drittesmal bei der Londoner Commission oder Behörde versuchen u. den Leuten schreiben: „In größter Bestürzung u. Betrübnis über die mir neuerdings verweigerte Registrierung zum Dentist ·|· oder wie das auf englisch heißt ·|· kann ich mich mit diesem Bescheide noch nicht abfinden u. erlaube mir nochmals an Sie die Bitte, meine Nostrifizierungals Zahnarzt im britischen Empire doch zuzulassen; denn – ohne jede Übertreibung, nur getragen von dem Bewußtsein wahrer Erkenntnis – gebe ich Ihnen die Versicherung als Mann von Ehre und Arzt von bestem Willen, daß ich allen Anforderungen nachkommen u. gewachsen sein werde, da ich mir durch eine – 15 jährige? praktische Tätigkeit in Ambulatorium u. in privater Ordination, alle Fähigkeiten angeeignet habe, die ein tüchtiger Zahnarzt haben muß, um seinen leidenden Mitmenschen zu helfen. Ich habe eine so große Praxis – vielleicht 200000 Fälle von Zahnbehandlung aller Art, daß ich befähigt bin, auch die schwersten Fälle zu curi[e]ren u. jedem Patienten gewiß Hilfe bringen würde; Sie können daher mit apodictischer Sicherheit darauf rechnen, daß ich allen Anforderungen [...]



060.tif

Wien 25/7 1939

Liebe Kinder!

Bis Ende Mai trafen Eure Flugpost-Briefe stets Mittwoch Abends oder Donnerstag früh ein; seither befremdender Weise erst am Sonntag, aber noch immer regelmäßig; da aber Euer letzter Brief am 16. ds. hier eintraf, glauben wir, daßdie Aeroplane von dort jetzt nur bei Tage fliegen u. bei Nacht schlafen, oder daß Euer Brief verloren ging oder – diesmal gar nicht geschrieben worden ist. Ich bin darüber nicht im Geringsten besorgt, denn eigentlich habt Ihr unsvermutlich nichts besonderes mitzuteilen, aber – bang ist uns um Euch u. wir möchten gerne den regelmäßigen, allerdings teuren, Flugpostverkehr allwöchentlich aufrechterhalten.

Bei uns hier ist Alles wo[h]lauf, für mich bürgen wo[h]l Ton u. Schrift dieses Briefes, u. der Tante3 Berta geht es viel besser als schon seit vielen Monaten u. sie macht keineswegs mehr den Eindruck einer Patientin; allerdings, ob ihr ein Arzt für die Fahrt nach Can[a]da ein Gesundheits-Attest ausstellen wird[,] bezweifle ich, denn ein neues Herz kann kein Arzt ordini[e]ren. Siegfried steht ihr überall zur Seite, u. denkt gar nicht an seine Zukunft, da erja monatlich von Naumann R.M. 400,- bekommt u. ihm nicht mehr fehlt als uns andern tausenden Juden. Wenn es nur bei diesem Tempo nicht zu spät kommt, denn jeder Tag kann eine Änderung bringen; anderseits aber hat ja Robert in letzter Zeit wiederholt versprochen, daß er für Siegfried sorgen werde.

Ich grüße u. küße meinen l. Sohn Alfred, die l. g. br. Ida, die Buben u. deren Gattinen als Euer treuer Vater Leopold



061.tif/062.tif

Wien, 24/11 1938

Lieber Alfred!

Ueber Deinen l. Bf. [lieben Brief] v. 16. ds. habe ich mich sehr gefreut u. beeile mich, Dir mitzuteilen, daß ich, die Tante B. u. alle Angehörigen gesund sind[.]

Hoffentlich bist Du bei Empfang dieses Briefes schon im Besitze Deiner Ordinations[-] und Haushalts[-]Einrichtung, ebenso der Londoner Praxis Licenz. Dann wirst dann [sic; Du] bald Deine zahnärztliche Praxis eröffnen können, wozuich allen Bewohnern Kenyas die fürchterlichsten Zahnschmerzen u. Zahnkrankheiten wünsche, die Du alle kuri[e]ren u. dabei Deine gute Existenz finden wirst.

Ich wiederhole aus dem Inhalt meines letzten, vor einigen Tagen abgesandten Briefes, daß das Schicksal von Siegfried das traurigste ist, denn er muß auf Befehl der Geheimpolizei Oesterreich bis 31/1 39 verlassen, freilich ist es möglich den Termin zu erstrecken.

Draußen sind schon alle 4 Zeislbuben u.z. [und zwar] in Paris, von wo aus sie Umschau nach einem Asyl halten. Auch die Lilly Mandl Weininger ist schon in Montevideo.

Tante B., der ja die Hellers ·|· nicht zu ihrem Nachteil [·|·] zur Seite stehen, hat sich endlich auf allgemeines Drängen entschlossen ein Dienstmädchen aufzunehmen[,] was ja umso notwendiger ist, weil Frl. Lisl Heller doch am 10/12 Europa verlässt; dieselbe hat die Tante B. immer aufmerksam u. liebevoll betreut.

Ich selbst gehe am 2/12 als Untermieter zu T[an]te B.[.] Ernst ist u. bleibt in Prag, während die Annie zur Liquidierung des Haushaltes nochmals hieherzurückkommen wird. E. äußert sich optimistisch u. hofft als Annoncen Acquisiteur für einige Prager Blätter in Polen, Estland u. Frankreich Geschäfte machen zu können; Gott gebe, daß er Glück hat!

Otto „lernt“ noch immer die Schloßerei u. wird in ¬einer Au[s]stecherei, deren Inhaberin ihm „wo[h]l“ gesinnt ist beschäftigt u. verpflegt. – Sollte ein dortiger Farmer einen Bankbeamten, mit Schlosser-Kenntnissen, sei es auch nurzur Beaufsichtigung von Viehherden, brauchen können, bitte, l. Alfred, protegi[e]re den armen Teufel.

Frl. Hilde Z. hat ordnungsmäßig die 2 Raten bezahlt u. lässt Dich u. die Ida bestens grüßen.

Felix erwartet in Paris im Dezember einen Freund aus Joh' burg mit „grossem“ Geschäfte, er lässt Dich immer grüßen, doch habe ich ihm erst heute geschrieben, daß Du in Mombassa gelandet bist – sonst nichts [.]

Ich grüße u. küße Dich sowie die liebe, brave, tapfere Ida.

Papa



070.tif

Wien 7/ April 1939

Lieber Alfred!

Deine so ausführlich geschilderte Reiseroute durch Belgisch-Congo hat mich außerordentlich interessiert; das ist ja die Welt in welche ich mit Spannung u. Begeisterung vor ca 65 Jahren den Berichten Livingstones & Stanley's folgte; wie habe ich mir im Stillen gewünscht, diese Urlandschaft mit seinem reichen Landschaftsgebiete u. seinen vielfältigen Eingeborenen sehen zu können.

Nun wird mein Jugendtraum in Dir zur Wirklichkeit, worüber ich wirklich eine gewisse Befriedigung habe, denn sehen u. lernen wirst Du aus eigener Anschauung jetzt mehr, als wir Gymnasiasten in den Büchern, so viele ihrer auch waren, schöpfen konnten. Also an Abwechslung u. Abenteuern wird es Dir auch heute noch, trotz Auto etc, auf dieser Tour nicht fehlen, aber immerhin ist die Gegend voll Gefahren vor Mensch u. Tier; so von Schlangen u. Moskitos wird esschon dort [...]



071.tif/072.tif

Lieber Ernst!

Paula sandte mir deine Karte vom 25. pto. u. ist die ganze finanzielle Angelegenheit Siegfried Alfred etc. damit erledigt, daß



sandte, resp. respective [sic] avisierte, u. daß mir Siegfried v. den ersten R.M. 50,- die er erhalten hat ¼ = RM 12.50 zu zahlen hat, woran ich ihn zeitgemäß erinnern werde.

Gestern traf ich den Lehrer Pick, der in meiner Schule – Leopoldsgasse – wohnt, dich bestens grüßen läßt u. erwähnte, daß ich von dir ein Postpaquet zu gewärtigen haben, in dem Einiges auch für ihn befindlich sei – [...]

[page cut-off]

schon sozusagen eingewöhnt; es ist so ähnlich, wie in einer Caserne oder in einem Spital, man wird betreut u. verpflegt, hat aber gar keine Selbständigkeit, u. ähnelt einem verdeckten Communismus, allerdings ohne jede feindseligeAbsicht. Man lebt sozusagen in einer großen Familiengemeinschaft, wo keiner was zu reden hat, aber Alle gleich behandelt werden. Nach u. nach wird sich die Anstalt an mich gewöhnen, denn ich gebe nicht gleich nach u. wahre meinenStandpunkt.

Mit Gruß u. Kuß bin ich dein treuer Vater

Leopold



073.tif/074.tif

7/11 39

Lieber Ernst!

Ich empfing Deinen Brief v. 28. pto. u. habe Dir seit dem 23. pto. schon zweimal geschrieben; diese Briefe wirst Du hoffentlich inzwischen auch schon erhalten haben; übrigens sind sie sozusagen bedeutungslos u. sollen nur den Contact zwischen uns aufrechterhalten.

Die neuerdings von Dir avisi[e]rten 2 Dosen Condensmilch sind noch nicht eingetroffen, dagegen erhielt ich v. W. hier die uns s[einer]z[eit] avisi[e]rten [...]

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[...] mals von weiteren Sendungen jeder Art Abstand zu nehmen, da mir nichts abgeht. Noch mußt Du nicht so oft schreiben, wenn es nichts Belangreiches gibt, denn Dein u. mein Porto kostet in summe schon immerhin viel Geld.

Deine Meinung über Robert teilt Siegfried – der meinen Brief öffnete, wie es hier schon zur Gewohnheit wurde – dieselbe u. ebenso ich, der ich zu Robert auch nie zu wirklicher Sympathie gekommen bin u. ihn für hinterhältig u. gefühlsarm halte, umso mehr, als er, nach fast 1 ¼ Jahren, noch immer nicht für Siegfried einen Schritt unternommen noch seine Mutter, die ebenso wie ich, vollkommen gesund ist, angefordert hat. Ein hochwertiger Mensch ist er sicher nicht, wenn mir auch seine Vergangenheit unbekannt ist u. ich von den Transactionen, die Du erwähnt hast, keine Idee hatte.

Mit herzlichem Gruße an Dich u. Annie wünsche ich Euch Beiden beste Gesundheit als Dein treuer Papa.

Deine Hoffnung auf größeren Verdienst in diesem Monat möge sich erfüllen!

[different handwriting, probably Ernst writing to Alfred, forwarding the letter he received from Leopold:]

Lieber Alfred!

Die Beschneidung erfolgte durch mich. Es freut mich, daß jetzt alle in Bezug Robert, einer Meinung sind.

Nina hat am 12/9 Selbstmord begangen, indem sie sich vom 4. Stock heruntergestürzt hat.

Nordegall [maybe a nickname for Ernst?]

Da Papa auf einen Brief wartet, habe ich mir gedacht, daß Du an meinem Brief auf jeden Fall Freude haben wirst, denn bis er Dir schreibt, wird schon December sein. Aber daran bist Du selbst schuld, wie ich Dir unlängst geschriebenhabe.



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Wien 22/12 1938

Lieber Alfred!

Die Verweigerung der Licenz hat mich zwar, gleich Dir, arg enttäuscht, aber ich bin nicht entmutigt u. Du, als relativ junger Mensch, wirst das noch weniger sein. Zum Verzweifeln ist kein Anlaß. Einstweilen sei froh, daß Du aus Oesterreich draußen bist u. ich denke, daß Du Dich einstweilen irgendwie verdienstbringend betätigen kannst.

Ich bin dafür, daß Du unter Anführung aller Dir in meinem letzten Briefe angegebenen Umstände – die Du nach eigenem Gutdünken u. dem Rate der „weisen“ Ida erweitern kannst, ein neues Gesuch an das Londoner Collegium richtest, unter Beilegung aller Dich betreffenden Belege etc; vielleicht können dortige maßgebende Stellen dies befürworten.

Inzwischen vertraue auf das Glück, das ich Dir aus tiefstem Herzen wünsche. Ob Deine angedeutete Reise nach London zweckmäßig ist, kann ich nicht beurteilen.

Hier ist alles unverändert; Mama u. ich nebst Anhang sind wo[h]lauf u. denken täglich u. stündlich an Euch.

Ernst & Otto sind entschlossen, mit Felix nach Neu Caledonien zu gehen; ob daraus was wird, weiß ich nicht.

Bleibt gesund u. harret unverdrossen und mutig aus! Gott möge Euch helfen!

Grüße mir die „brave“ Ida, die 2 Buben!

Papa!



077.tif¬¬¬

[...]

in Begleitung oder besser gesagt, unter Führung eines bewanderten Liebhaberforschers reisest; der Mann muß ja auf seinen Schützling Acht geben; schließlich denke ich mir dafür daß Du ja eigentlich mit den Eingeborenen wenig zu schaffen u. nur die „weisse“ Kundschaft in den Städten besuchen u. gut beza[h]lt werden wirst.

Gott segne dein Unternehmen u. erhalte Dich gesund u. lebensfrisch für Dich selbst, Deine Gattin u. manch Andern, der Dich gerne hat.

Die s[einer]z[eit] eingeschickte Karte von Kenya habe ich erhalten u. lenke jetzt meine Aufmerksamkeit mehr auf die Congokarte, da ich ja von dort Deine Briefe gerne abwarte; daß ich auf einen Brief 20 Tage werde warten müßen, weiß ich schon, Du mußt nicht zu oft u. zu viel schreiben, ich will immer nur hören, daß es Dir gut geht u. daß Du gesund bist. Immerhin ist das keine Spazierfahrt u. etwa 3 mal so weit als von Gibraltar zum Ural.

Ich bin selbstverständlich gesund u. das Befinden der Tante Berta beruhigend; desgleichen sind alle Angehörigen wo[h]lauf; Otto unverände[rt] noch hier, Ernst „einstweilen“ in Sicherheit in Polen, aber von Felix weiß ich gar nichts seit 2 Monaten, hoffe aber, daß er sich schon, wie immer irgendwie durchschlagen wird.

Da die Fischbach's vermutlich Ende dieses [Monats] nach Cuba auswandern werden, wird es bei uns leerer werden; auch die Heller's haben ähnlich Plane u. schließlich – aber erst nach einigen Monaten – kommt die Reihe an die Tante Berta, die sich in Sehnsucht nach dem Robert verzehrt – u. dann werde ich allein sein, was mir aber nichts macht u. erst, bis ich „älter“ werde, meinen Stoicismus erschüttern können dürfte.¬

Eine Frau Wache, deren Sohn, ein Student, mit Heinz in freundschaftlichen Beziehungen stand, besuchte uns u. läßt Grüße ihres Sohnes an Heinz ausrichten.

Pessach – da Seder – haben die Fischbach's bei ihren hiesigen Verwandten gehalten, während wir bei uns die 2 Abende mit den Heller's feierten, die die Sache in althergebrachter jüdischer Weise sehr nett absolvi[e]rten.

Grüße mir die liebe Ida u. die beiden Jungen u. sei selbst innigst gegrüßt u. geküßt von Deinem treuen Vater Leopold

Wie steht's mit der Londoner Registrierung?
Last Modified 23 Nov 2014Created 10 Jun 2015 using Reunion for Macintosh